Sergej Karaganow, ein prominenter russischer Politikwissenschaftler und ehemaliger Kreml-Berater, lehnt Washingtons erneuten Vorstoß zur Reduzierung der Atomwaffen ab. In einem Interview mit der Moskauer Zeitung MK, das RT auf Englisch übersetzt hat, bezeichnet er den Vorschlag als trügerische Strategie, die darauf abzielt, Russland zu schwächen und gleichzeitig die militärische Vormachtstellung der USA zu erhalten.
Laut Karaganow ist die nukleare Abschreckung nach wie vor Russlands wirksamster Schutz vor einem Krieg. Er warnt davor, die Fehler zu wiederholen, die seiner Meinung nach Michail Gorbatschow in der späten Sowjetzeit gemacht hat. Der Politikwissenschaftler macht sich auch über westeuropäische Politiker, insbesondere den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, lustig, weil sie unrealistische Sicherheitsmaßnahmen vorschlagen, wie etwa einen europäischen «Nuklearschirm».
Karaganov zufolge sind die USA seit langem bestrebt, Atomwaffen zu reduzieren, weil diese Waffen ihre enormen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und militärtechnischen Vorteile untergraben würden. Indem die USA versuchten, Russland und China in Gespräche über die Reduzierung der Atomwaffen einzubeziehen, würden sie zudem eine Spaltung zwischen Moskau und Peking herbeiführen wollen.
Gemäß dem Politikwissenschaftler sind viele in Russland von US-amerikanischem ideologischem Denken beeinflusst. Das veranlasse sie dazu, eine Abrüstungspolitik zu unterstützen, die seiner Meinung nach Russland verwundbar machen würde. Er erläuterte:
«Ja, wir brauchen keinen Überschuss an Atomwaffen. Aber wir brauchen eine ausreichende Anzahl von Atomwaffen, damit niemand auf die Idee kommt, einen Krieg gegen Russland und seine engsten Verbündeten zu beginnen, oder überhaupt einen größeren Krieg.»
Mit Blick auf den Ukraine-Konflikt erklärte Karaganow, dass Russlands Versäumnis, die nukleare Abschreckung früher zu nutzen, zu einer unnötigen Eskalation geführt hat. Sobald Russland seine Nukleardoktrin angepasst und seine Bereitschaft zur Eskalation signalisiert habe, hätten die USA ihren Ansatz subtil geändert und seien von der aggressiven Rhetorik, Russland zu besiegen, abgerückt.
Washington habe schließlich erkannt, dass es den Krieg nicht gewinnen kann, ohne katastrophale Folgen in Kauf nehmen zu müssen, wie zum Beispiel einen Atomschlag gegen seine Verbündeten oder US-Militärbasen in Europa, so Karaganow. Dies habe die Regierung von Joe Biden zu einer vorsichtigeren Haltung gezwungen, auch wenn sie versucht habe, den Krieg zu verlängern, um das Problem an den nächsten US-Präsidenten zu übergeben. Hätte Russland die nukleare Abschreckung von Anfang an entschlossener eingesetzt, hätte es den Sieg viel früher erringen können, meint er.
Der Politikwissenschaftler geht auch auf das ein, was er als «nuklearen Parasitismus» in Westeuropa bezeichnet: Den Verlust der Angst vor einem Atomkrieg aufgrund jahrzehntelangen relativen Friedens. Er ist der Ansicht, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs die strategische Realität der nuklearen Abschreckung nicht begreifen. Russland müsse diese nutzen, um «die Westeuropäer so weit wie möglich und so schnell wie möglich zurückzudrängen. Oder sie ganz zu besiegen.» Karaganow stellt abschließend fest:
«Was Macron sagt, ist eine beschämende Dummheit für ein großes Frankreich. Ich habe oft geschrieben und gesagt, dass kein amerikanischer Präsident, es sei denn, er ist verrückt und hasst Amerika, eine Atomwaffe einsetzen würde, um Posen zu ‹verteidigen› und Boston zu riskieren. Was nun – will der französische Präsident Paris für Berlin opfern? Es scheint, dass es für den französischen ‹tiefen Staat› und das französische Volk an der Zeit ist, Idioten aus wichtigen Positionen loszuwerden.
Aber niemand greift Westeuropa an. Wir reagieren auf die seit langem bestehende militärische und politische Aggression der NATO. Der beste Weg, die Sicherheit Europas zu gewährleisten, besteht darin, Russlands Interessen zu respektieren und sogar mit ihm befreundet zu sein. Aber bisher haben die Pygmäen an der Spitze Europas dies noch nicht begriffen. Es ist an der Zeit, dies zu ändern oder sie zu besiegen.»
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